Risiken
Studien haben ergeben, dass Suizidforen viele positive Einflüsse auf die Mitglieder haben und sogar präventiv wirken können. Dennoch sind einige potenzielle Nachteile nicht von der Hand zu weisen. Ob und in welchem Maße diese Gefahren gegeben sind oder nicht, hängt vom einzelnen Suizidforum und von der Verfassung des Users ab.
Folgende Risikofaktoren bestehen:
Verbreitung von Suizidmethoden und Tipps zur Beschaffung der Mittel
Vor allem durch Suizidforen, in denen Methodendiskussionen gestattet sind, besteht die Gefahr der Verbreitung von Informationen über Suizidmethoden und von detaillierten Anleitungen. Außerdem erhalten Forenmitglieder genaue Hinweise, wie sie sich die dazu benötigten Mittel beschaffen können.
Für manche Forenmitglieder kann die Diskussion entlastend wirken, bei emotionaler Instabilität und vor allem bei Jugendlichen dagegen könnte die Suizidalität verstärkt werden. Besonders wenn Mittel vorgestellt werden, die frei zugänglich sind und einen schnellen, wenig schmerzhaften Suizid ermöglichen, könnte das die Hemmschwelle zum Suizid senken.
Quellen: Eichenberg 2006, Fiedler 2003
Möglichkeit der Verabredung zum Suizid
Die Kommunikation über das Internet ermöglicht, nicht nur im näheren Umfeld nach Partnern für einen gemeinsamen Suizid zu suchen, sondern auch über eine weite Distanz. Da sich in Suizidforen viele Personen mit mehr oder weniger akuten Suizidgedanken aufhalten, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dort auf jemanden zu treffen, der Interesse an einem Partner-Suizid hat, als im ›Real Life.‹
Durch eine Suizid-Partnerschaft könnte die pro-suizidale Einstellung nochmal verstärkt werden und der Druck entstehen, den geplanten Suizid auch wirklich durchführen zu müssen.
Quelle: Fiedler 2003
Risikofaktor Forenleitung
Häufig handelt es sich bei den Forenleitern, Administratoren oder Moderatoren um Laien, die nicht für suizidpräventive Arbeit ausgebildet sind. Daher besteht die Gefahr der fehlenden Kompetenz und Desinformation.
Verantwortliche, die selbst ein hohes Maß an Suizidalität aufweisen, akzeptieren meistens die Entscheidung für den Tod bzw. propagieren diese sogar teilweise. In diesen Fällen findet meist keine differenzierte Auseinandersetzung mehr mit dem Thema statt, sondern die Argumente sind durchgängig pro Suizid.
Oft zeigen pro-suizidal eingestellte Forenmaster nur eine geringe Bereitschaft, offizielle Stellen einzuschalten, wenn Suizidankündigungen oder Aufrufe zum gemeinsamen Suizid gepostet werden.
Manche Foren werden gar nicht moderiert, so dass auch kein Einfluss auf potenziell gefährliche Inhalte genommen werden kann.
Quellen: Fiedler 2003, m. 2003
Gefahr des Eskapismus
Unter Eskapismus versteht man die Flucht aus der realen Welt und die Hinwendung zu einer Scheinwelt.
Wenn sich die Forenmitglieder in dem Suizidforum verstanden und aufgehoben fühlen, kann dies auf der einen Seite das Gefühl der Entlastung hervorrufen. Auf der anderen Seite zieht es oft eine noch stärkere Abgrenzung vom ›Real Life‹ nach sich. Bis dahin bestehende, aber nicht erfüllende Kontakte zum sozialen Umfeld könnten völlig aufgegeben werden, da sie nicht mehr als nötig angesehen werden.
Je intensiver die Kontakte innerhalb des Forums sind, desto höher ist die Gefahr des Eskapismus und der völligen Isolation. Das Feindbild des ›Real Lifes‹ könnte sich manifestieren und das Forum zur ›heilen Welt‹ werden. In manchen Fällen lässt sich ein zunehmender Realitätsverlust feststellen.
Quellen: Born 2005, Pourshirazi 2008
Verstärkung der Ablehnung von professioneller Hilfe
Während in manchen Foren zu professioneller Hilfe geraten wird, herrscht in anderen Suizidforen eine prinzipielle Ablehnung von Psychologen, Psychiatern und generell contra-suizidal eingestellten Personen. Manchmal wird ein regelrechtes Feindbild propagiert. Häufig haben Forenmitglieder schlechte Erfahrungen mit Therapien und Kliniken gemacht, die sie im Forum mitteilen.
Durch die Solidarität mit den anderen Forenmitgliedern, den ›Gleichgesinnten,‹ könnten diese Einstellungen auch ohne eigene Negativerlebnisse übernommen werden. Generell besteht die Gefahr, dass die Hemmschwelle, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, erhöht wird.
Quelle: Fiedler 2003
Abhängigkeit vom Forum
Ebenso wie durch häufige Online-Nutzung eine generelle Internetabhängigkeit auftreten kann, könnte es in Ausnahmefällen zu einer Abhängigkeit von einem oder mehreren Suizidforen kommen. Diese Gefahr besteht, wenn die meiste der verfügbaren Zeit im Forum verbracht wird und die bis dahin üblichen Lebensgewohnheiten vernachlässigt werden.
Typischerweise wird eine Abhängigkeit verheimlicht oder zumindest verharmlost. Besonders gefährdet sind Personen, die an Depressionen leiden und insgesamt einzelgängerisch veranlagt sind.
Im schlimmsten Fall führt die Abhängigkeit zum Abbruch jeglicher sozialer Kontakte und die Suizidforen werden als alleiniger Ersatz angesehen, was zu einer vollständigen Isolation und Realitätsverlust führen kann.
Quelle: Born 2005, Pourshirazi 2008, Rauchfuß 2007
Destabilisierung der Mitglieder
In Suizidforen halten sich viele Personen auf, die als emotional instabil eingestuft werden müssen. Wenn diese Personen aggressiven oder kränkenden Postings ausgesetzt sind oder den Suizid anderer Forenmitglieder mitbekommen, besteht die Gefahr der zusätzlichen Destabilisierung und einer Steigerung der eigenen Suizidalität.
Quelle: Fiedler 2003, Pourshirazi 2008
Risiko der Imitation von Suizid
Ebenso wie Forenmitglieder durch die Erfahrung des Suizids eines anderen Users destabilisiert werden können, besteht auch die Gefahr der Nachahmung. Sowohl Methode als auch Vorgehensweise könnten imitiert werden, wenn das Ergebnis als wünschenswert eingestuft wird.
Quelle: Pourshirazi 2008
Vermittlung einer pro-suizidalen Einstellung
Da in pro-suizidalen Foren häufig keine konstruktive Auseinandersetzung mit der Suizidthematik stattfindet, sondern einseitig argumentiert wird, besteht die Möglichkeit, dass eine pro-suizidale Einstellung vermittelt bzw. verstärkt wird. Dies trifft vor allem auf Foren zu, in denen suizidnegative und lebensbejahende Haltungen kategorisch abgelehnt werden.